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Heute Nachmittag durfte ich mal wieder erfahren, was passiert, wenn mensch sich zu sehr von seinen Bildern leiten läßt.

So ist die Geschichte passiert: In der Bahn. Auf einem Dreiersitz auf dem eine attraktive Frau mit blonden Haaren mit ihrer vielleicht fünf- bis sechsjährigen Tochter Platz genommen hat, drängelt sich ein etwas dicklicher, ungeschlachter Typ mit südländischem Aussehen auf den freien Platz. Ohne Maske, raumgreifend, dominant.

© Ljupco Smokovski  / stock.adobe.com

„Ist ja klar“. Mein inneres Bild dieses Menschen war sofort fertig. Die Sympathiepunkte schon verspielt.

Dann wurde ich Zeuge folgenden Dialogs:
„Du, deine Maske … „, sprach die Frau ihn mit freundlichem Ton an.
„Oh, Mist, und ich bin so durch die ganze Bahn zum Ticketautomaten gelaufen. Hätte mich ja auch jemand aufmerksam machen können.“ Der Mann, er sieht plötzlich sichtlich verlegen aus, nesselt seine Maske aus der Tasche und legt sie mit geübten Bewegungen an.
Sanft legt die Frau ihre Hand an seinen Hinterkopf, schaut zu ihm und kuschelt sich dann an ihn an. Da sitzen sie eine ganze Weile still, mitten in der jedenfalls für Coronazeiten vollen Bahn. Liebevoll einander zugeneigt und schauen gemeinsam auf das Kind, das mit irgend etwas spielt, was ich von meinem Platz aus nicht sehen kann.

Eine Szene, die mich beschämt zurücklässt. Aber irgenwie auch mich beglückend. Den Mann hatte ich in eine Ecke gestellt, die ihm nicht gerecht wurde. Hier muss ich mich meinen eigenen Vorurteilen stellen und gleichzeitig bereit sein, mich von ihnen zu lösen. Beides ist Yoga. Seine Gedankenmuster – nichts anderes sind Vorurteile – wahrnehmen ist die Praxis. Sich davon lösen entsteht aus dieser Praxis.

Im Yogasutra (2.33) heißt es in einer Übersetzung von Bettina Bäumler in diesem Buch: „Bei einer Behinderung durch störende Gedanken soll man über das Gegenteil meditieren.“ In der Übersetzung von Steiner heißt es:  „Unsicherheit bei der Umsetzung kann durch Ausrichtung auf das Gegenteil überwunden werden.“

Beiden Übersetzungen ist gemein, dass im einen Fall soll (über das Gegenteil meditieren) und im anderen kann (durch die Ausrichtung…) heißt. Nicht: „Wenn Du das oder das tust, dann passiert das und das.“ Die Praxis ist die Behinderung, das Vorurteil, das was mich nervt, wahrzunehmen. Dann kann ich mich auf das Gegenteil ausrichten. Ob dann etwas passiert, wird offen gelassen. In einem christlichen Kontext könnte formuliert werden: „Es der Gnade überlassen.“ Nur das Wahrnehmen, das müssen wir immer dazu beitragen.

Ich werde also versuchen auch in Zukunft weiter in die Praxis zu gehen und meine Vorurteile wahrzunehmen. Nicht jeder der „grob“ aussieht, ist ein brutaler Egomae mit zweifelhaftem Benehmen. Was mir auch helfen würde, wären noch viele solcher beglückenden Begegnungen. Auch das liegt nicht in meiner Hand. Dafür werde ich aber meine Augen mehr öffnen.